Der Affekt der Ãkonomie by Gesine Hindemith Dagmar Stöferle
Autor:Gesine Hindemith, Dagmar Stöferle
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: Walter de Gruyter
veröffentlicht: 2018-06-15T00:00:00+00:00
Gesine Hindemith
Kapitalistischer Affektbefall und spalterische Energien in Vittorio Alfieris tramelogedia Abèle
Vittorio Alfieris Abèle (entstanden 1782â1798) ist ein wahrhafter Ausfall aus dem Tragödienschema des Piemonteser Aristokraten, mit dem er 22 klassisch normative Dramen in Serie produziert. Sie alle kreisen um das groÃe Thema des republikanischen Freiheitspathos. Abèle, die Adaptation der biblischen Geschichte von Kain und Abel, ist Alfieris Versuch einer Mischform aus Oper, Tragödie und Melodram. Er spielt hier mit einer Zusammenführung von Elementen, die er sonst aus seiner Tragödienkunst verbannt sehen will. Die âºtramelogediaâ¹ Abèle ist ein literaturgeschichtliches Ereignis. Es soll das einzige seiner Art bleiben. Abèle steht im Tragödienschaffen Alfieris seltsam über und sticht heraus. Hier konfiguriert sich der Kern seiner Tragödienpoetik von den Rändern her, von dem, was Alfieri in seiner klassischen Stilökonomie der âºsublimità ⹠kategorisch ausgeschlossen hatte: das Lyrische der Oper und die Musik.
Der biblische Stoff um den Brudermord ist im 18. Jahrhundert in Italien ein durchaus gängiges Sujet. Interessanterweise gibt es auch eine Bearbeitung aus der Feder Pietro Metastasios, den Alfieri zur Stärkung seiner Dichtungstheorie als poetisches Feindbild und Gegenspieler aufbaut, indem er dessen seiner Ansicht nach lyrisch verweichlichten Stil verurteilt. Aber ausgerechnet Metastasio fasst den Stoff in einer für ihn ungewöhnlich klassischen Weise. La morte dâAbel (uraufgeführt 1732 in Wien) ist ein Libretto zu einer âºazione sacraâ¹ und das dritte der sieben in Wien geschriebenen Opernlibretti. Das Stück folgt einem einfachen und klaren Aufbau und enthält keine göttlichen und allegorischen Personen, wie die âºtramelogediaâ¹ Alfieris. Metastasio folgt in seiner Umsetzung weitgehend den aristotelischen Einheiten gemäà französischer âºdoctrine classiqueâ¹: Ensemblestücke und Chöre werden nur äuÃerst sparsam verwendet. Alfieri geht dagegen mit seiner Version des Abèle in einer für ihn einmaligen Weise auf den ursprünglich bei Aristoteles angelegten hybriden Charakter508 der Tragödie zurück, während er sonst seinen Antikebezug vorwiegend rhetorisch ausrichtet.509 Zunächst einmal unterscheidet sich seine Adaptation der Antike in wesentlichen Punkten von der âºdoctrine classiqueâ¹ französischer Provenienz. Alfieri wendet sich mit dem Sujet der âºvendettaâ¹ und dem auf der Bühne gezeigten Mord einer wesentlich wilderen Antike zu als dies die von Richelieu für den Kontext der französischen Klassik verordnete âºbienséanceâ¹ zulieÃ.
Die Einordnung seines eigenen Tragödienprojektes in die Gattungsgeschichte spielt für Alfieri eine ungemein wichtige Rolle, um das italienische âºgenus sublimeâ¹ zuallererst zu konstituieren. Er bringt sich zu diesem Zweck nicht nur performativ auf Abstand zur Tragödie der französischen Klassik und zu den empfindsamen Mischformen des 18. Jahrhunderts bei Voltaire und Maffei, sondern auch zu anderen Gattungen wie Melodrama und Oper und zu deren berühmten Vertretern. Pietro Metastasio beispielsweise sei ein serviler und verweichlichter Höfling. Ein mögliches Kennenlernen am Hof Maria Theresias in Wien lehnt Alfieri rundweg ab. Metastasios Werke ordnet er als trivial ein, der Dichter selbst ist für ihn bloÃer Repräsentant eines politisch überholten zentralistischen Staats- und Kultursystems.510 Nichts scheint ihm schlimmer als der harmonisch melodiöse Vers mit regelhafter Betonung aus der Traditionslinie Petrarca-Metastasio. Dagegen setzt Alfieri seinen harten jambisch geprägten Tragödienvers, den er als männlich, kraftvoll und energetisch definiert. Extremistisch und antikonformistisch muss die Sprache der Tragödie sein, gewaltsam und schroff deren Duktus.511 Die
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